Impfverweigerer schaden sich selbst. Und sie schaden der Allgemeinheit. Sie handeln irrational. Unsere Gesellschaft ist geübt darin, tolerant mit Irrationalität umzugehen. Es sei denn, Irrationalität hat massive Auswirkungen im Diesseits.
Bei Wahlprognosen gelten Stichproben von rd. 2.000 Meinungen als ausreichend, um eine statistisch gute Voraussage über das Wahlverhalten von zig Millionen abzugeben. Bei der Covid19-Impfung sind inzwischen Milliarden Menschen geimpft, mit einem riesigen Anteil an nachweisbarer Wirkung und einem winzigen Anteil an ernsthaften Nebenwirkungen. Die wundersame zivilisatorische Erfindung des Messens und Zählens zum Vergleich erwünschter und unerwünschter Wirkung hat für mehrere Impfstoffe phantastische Relationen offenbart. Und doch finden sich Tausende, teils gut ausgebildeter, abwägende, oft sympathische Menschen, um den ersichtlichen Fakten zu widersprechen und zuwider zu handeln.
Wir Kommunikationsmenschen fragen uns, welches Mittel dagegen helfen könnte. Und wir politisch denkende Menschen fragen uns, wie eine Demokratie mit Irrationalität klarkommen kann. Schließlich wäre es verwegen, darauf zu setzen, dass, wie heute in der Impffrage, die Vernunft stets klare Mehrheiten hinter sich hat. Und auch eine realitätsleugnende Minderheit kann bei einer Infektionskrankheit das Gemeinwesen vor große Probleme stellen.
Gedachtes zu Beobachtetem addieren
Offenkundige Irrationalität ist unserer ach so aufgeklärten westlichen Fortschrittsgesellschaft alles andere als neu. Obwohl die Medizin in ihrer erstaunlich kurzen Geschichte von Wissenschaftlichkeit und Evidenzorientierung in rund 200 Jahren eine sprunghafte Verlängerung von Lebenserwartung und Lebensqualität vollbracht hat, halten sich vorwissenschaftliche Theorien und Praktiken, insbesondere im deutschsprachigen Raum, und es kommen immer noch neue dazu. Andere Realitätsoppositionelle stellen die Evolution in Frage, in den Vereinigten Staaten mit beachtlicher, auch politischer Wirkung. Oder die Kugelform der Erde. Obwohl auch hier die beobachtende Wissenschaft keinen Raum für Zweifel lässt.
Menschliche Zivilisationen leben seit jeher mit Irrationalität, und vielleicht gäbe es sie ohne gar nicht. Die älteste Ergänzung der Realität durch Addition von Gedachtem zu Beobachtetem sind sicher Religionen. Sie haben in der Menschheitsgeschichte eine enorm produktive Rolle gespielt, weil sie große Gemeinschaften zusammengehalten haben und so ganze Gruppen, Städte, Staaten, Zivilisationen durch entsprechende Führung zu koordiniertem, gleichgerichtetem Handeln mobilisieren konnten. Und sie hatten individuell enormen Wert, weil sie dem Menschen im Umgang mit dem Unerklärlichen, nicht Kontrollier- und Vorhersagbaren helfen. Durch das gedankliche Konstruieren von Ursache-Wirkungsketten (z.B. Vorteile als Folge von Opfergaben) konnten wir uns versichern, dem Schicksal nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Und gefühlte Selbstwirksamkeit ist ein menschliches Kernbedürfnis sowie eine starke Energiequelle, für sich und die Seinen alles zu geben, ein handfester Vorteil gegenüber schicksalsergebenen Konkurrenten.
Irrational heilen
Irrationale Lehren rund um Krankheit und Gesundheit haben bis vor historisch kurzer Zeit die gesamte Medizin dominiert. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts sind viele Menschen (die sich zu ihrem Unglück eine solche „Behandlung“ leisten konnten) am Aderlass gestorben. Erst dann - und sehr langsam - setzte sich die systematisch beobachtende wissenschaftliche Medizin Schritt für Schritt durch, etwa mit ersten Erkenntnissen zum Nutzen von Hygiene oder zu Gesetzen der Ansteckung, erst Jahrzehnte später mit der Entdeckung von Krankheitserregern und wirksamen Pharmazeutika. Auch wenn die Medizin später als andere Naturwissenschaften das neuzeitliche Instrumentarium von Messen und Zählen, vom Aufstellen von Hypothesen und ihrem methodisch präzisen Falsifizieren übernahm - sie hat das menschliche Dasein stärker und unmittelbarer verbessert als andere Wissenschaften. Und dennoch halten sich - in Orient wie Okzident - ganz eigene Vorstellungen von Krankheit und Heilung. Auch wenn vielen dieser alternativen Heilmethoden ein belastbarer Wirkungsnachweis fehlt, lasten großen Hoffnungen auf ihnen. Was faktisch eigentlich zu großen Enttäuschungen führen müsste. (Und alternative Therapien, die messbar wirken, werden zu Unrecht in einen Topf mit den Scharlatanen geworfen.)
Bemerkenswert: Während Religionen einen Vorteil für ihre Anhänger für sich reklamieren können und deshalb aus nachvollziehbaren Gründen weiterhin einen Großteil der Menschheit beschäftigen, wird das Ersetzen rationaler durch irrationale Medizin in vielen Fällen mit Krankheit oder Tod sanktioniert. Und sonst mit wirkungslos investierten Kosten.
Die meisten Religionen verlegen die „Auszahlung“ des Gewinns, der den Gläubigen für das Einhalten ihrer Glaubensregeln versprochen ist, in ein Jenseits, das sich der Überprüfung durch Sterbliche entzieht. Damit sind sie prinzipiell nicht falsifizierbar. Und jene, die eine Belohnung im Diesseits versprochen haben, sind deshalb längst aus der Mode gekommen.
Anders medizinische Heilslehren, die beim Messen und Zählen zu keinem überzeugenden Wirkungsnachweis kommen: Auch wenn sie quasi überirdische Kräfte in Anspruch nehmen, müsste ihre Wirkung im Diesseits erkennbar sein. Und obwohl sie genau dieses Versprechen brechen, können sie sich einer treuen Anhängerschaft erfreuen.
Der anekdotische Fehlschluss
Offensichtlich ist einer relevant großen Anzahl von Menschen etwas wichtiger als die begründete Aussicht auf besten Behandlungserfolg. Dahinter steckt ein grundlegender Logikfehler menschlicher Wahrnehmung, der gut untersucht und vielfach belegt ist, zusammengefasst etwa vom Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman: Menschen lieben keine Zahlen, sondern den greifbaren Einzelfall. Sie weisen Geschichten über singuläre Erfahrungen anderer Menschen ein viel größeres Gewicht zu, als es für eine wichtige Entscheidung, etwa in Gesundheitsfragen, sachgerecht wäre.
Entsprechend gering wirken statistische Argumentationsketten. Das, was Kahneman schnelles Denken nennt, liebt die argumentative Kraft eines in sich stimmig erzählten Einzelfalls. Die Bewertung von Zahlenkolonnen und der kritische Blick zu ihrem Vergleich und zum Check ihrer Quellen ist hingegen dem „langsamen Denken“ vorbehalten, das vom Gehirn viel mehr Zeit und Energie abverlangt - also möglichst vermieden wird. Während Einzelfälle überprüfbar und in sich konsistent wirken, verlangen statistisch belegte Argumentationen Wissen um die Bewertungsmethodik oder Vertrauen in jene Experten, die sie vorgelegt haben.
Wer mit Impfgegnern spricht, findet oft genau dieses Muster: Ein Bekannter ist nach Impfung schwer krank geworden, oder ein Bekannter von einem Bekannten. Ein anderer ist trotz Impfung in die Intensivstation gekommen. Und irgendjemand habe ja auch über die Gefahr von Unfruchtbarkeit geschrieben.
Sobald unser Gehirn mit greifbaren Erfahrungen von Menschen in ähnlichen Lebens- oder Entscheidungssituationen konfrontiert wird, stürzt es sich mit Begeisterung darauf und nimmt dankbar die Einladung an, den anstrengenden Weg der kritischen Abwägung auszusparen. Das ist keine Charakterschwäche, sondern Resultat des Ökonomieprinzips, also der systematischen Energieeinsparung, die die Evolution bei uns einprogrammiert hat und die noch immer wirkt - obwohl wir von energiereicher Nahrung heute nur so umzingelt sind und sie mühsam in Laufschuhen wieder abtrainieren.
Diese evolutionär bedingte Unterschätzung von harten, aber nackten und großen Zahlen trifft die Wissenschaft hart. Wer seinen epocheprägenden Beitrag zum zivilisatorischen Fortschritt auf Beobachten, Messen und Zählen gründet, muss verzweifeln über so viel Ignoranz gegenüber der Essenz von Erkenntnisgewinn. Generationen von Kolleginnen und Kollegen aus der Wissenschaftskommunikation haben sich an diesem Effekt abgearbeitet.
Wirkungsverstärker von Impfgegnerschaft
Aber als Erklärung für die Intensität und Aggressivität der Impfgegner genügt dieser Faktor nicht. Die Informationen über die Todeszahlen von Ungeimpften oder die Nicht-Wirksamkeit von exotischen Heilslehren würden auch bei ihnen vermutlich nicht gänzlich ohne Wirkung bleiben. Es muss einen zusätzlichen Realitätsfilter geben. Einen, der epidemiologisch durchaus relevante Minderheiten bewegt.
Offensichtlich verleihen persönliche Prägungen der Pandemie-Kontroverse eine starke emotionale, eskalatorische Komponente: eine rebellische Neigung gegen das kollektive Befolgen von Regeln, die Regierungen beschlossen haben. Manchen scheint es persönlich fast unmöglich, in einer Reihe mit den meisten Medien, den meisten Politikern und den meisten Mitmenschen zu handeln.
Diese besondere Konstellation scheint bei diesem Persönlichkeitstypus den starken Verdacht zu nähren, dass es bei so viel Konformität nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Obwohl ein koordiniertes, diszipliniertes Verhalten gerade gegenüber einer Infektionswelle schon immer die einzig wirksame Antwort war, seit den Pestepidemien und der Erfindung der Quarantäne in Venedig.
Auf diese zunächst nicht unsympathische, nonkonformistische, aber infektionsfreundliche Grundhaltung setzte sich nun eine politische Diskussion auf, die jeden Freiheitsberaubungsverdacht zu bestätigen schien: jene über die Impfpflicht.
Wer Pickel kriegt, sobald irgendein Mainstream oder irgendein Herrschender Konformität einfordert, wird sich kaum aus Überzeugung seines „langsamen Denkens“ in die Schlange des Impfzentrums eingliedern. Und erst recht nicht auf Druck. Er wird Abwehrreflexe gegen die fremdverordnete „Zwangsspritze“ entwickeln. Er wird jedes anekdotische Argument gegen Impfung dankbar aufgreifen und jede virtuose Uminterpretation statistischer Daten.
Er wird schützen, was ihm heilig ist: sein Selbstbild von unbeschränkter Selbstbestimmtheit. Er wird alle zum persönlichen Gegner erklären, die ihn zu konformem Verhalten im Kollektivinteresse drängen (obwohl es auch in seinem besten persönlichen Interesse wäre).
Nicht die irrationale Ablehnung von „Schulmedizin“ und die Offenheit für Methoden ohne Wirkungsnachweis allein machen so manche abendliche Fußgängerzone zu einem gespenstischen Ort, an dem aller Frust dieser Welt zusammenfließt in der Abwehr gegen demokratisch legitimierte Institutionen und ihre Entscheidungen. Die emotionale Intensität und die gesellschaftliche Brisanz entzündet sich erst im Zusammenwirken von Wissenschaftsskeptizismus mit tiefer persönlicher Ablehnung von staatlich initiiertem und gemeinschaftlich realisiertem Handeln.
Diese Ablehnung scheint drei sehr unterschiedliche Gruppen anzutreiben:
- den Typus Kleinstadt-Sachse, den nach der SED-Erfahrung tiefe Skepsis gegenüber jeder institutionalisierten Gewalt „von oben“ umtreibt und der sich aus Berlin nie wieder in sein geordnetes Leben reinreden lassen will
- den Typus Kubicki, der verbindliche Regeln für alle schon immer als „auch ne Meinung“ abgetan hat und in der Pandemie einen persönlichen Angriff auf seine heilige Individualität sieht
- den Typus Anthroposoph, der seine teure akademische Ausbildung schon immer gewandt vermengt hat mit einer übersinnlichen Welt, in der das Vergraben von Kuhhörnern bei Neumond andere Effekte auf den landwirtschaftlichen Ertrag hat als bei Vollmond; und der deshalb die kalte Rationalität synthetisch erzeugter Impfstoffe prinzipiell aus seiner Blutbahn fernhält.
Nicht vergessen werden sollen jene, die jede Sau durchs Dorf treiben, wenn sie denn damit „das System“, also die wertebasierte Verfassungsordnung, attackieren können. Sie dürfen sich bedanken für die Naivität oder Ignoranz ihrer Mit-Spaziergänger und verzichten ansonsten auf jede Mitwirkung an einem lösungsorientierten Dialog.
Besorgnis erregt in diesem Cocktail unterschiedlicher Hochenergie-Abwehrreflexe, dass kaum ein Beteiligter Scheu zu spüren scheint, mit gewaltbereiten Demokratiefeinden gemeinsam Gesicht gegen den Staat zu zeigen. Offensichtlich hat die Pandemie dunkle Energien entlarvt, die bisher isoliert in ihren versprengten Bubbles weit weniger gefährlich erschienen.
So manche „alternative Medizin“ hat auch vor der Pandemie Kritiker wegen offensichtlichen Unsinns und Unwirksamtkeit auf die Palme getrieben. Aber solange sie hauptsächlich gegen Befindlichkeitsstörungen zum Einsatz kam und nur selten jemand starb, der wegen einer Fake-Behandlung auf eine wirksame verzichtet hatte, blieb es ein Streit für engagierte Feinschmecker. Übersinnliche Neuzeit-Weltbilder schienen bis in den Schulbetrieb so gut gesellschaftlich integriert wie die Kuhhorn-Verbuddler von Demeter in die Biomärkte der Republik..
Die Integrationsprobleme mancher kleinstädtischer ostdeutscher Bevölkerungsgruppen in den Verfassungsstaat waren spätestens 2015 im Rahmen der Attacken auf Geflüchtete zu übergreifender Aufmerksamkeit gelangt und tragen bis heute zu regional weit überdurchschnittlichen populistischen Wahlergebnissen bei.
Libertäre werden vor allem in der FDP weiter geduldet, aber sie prägen die nun-besser-doch-Regierungspartei nicht mehrheitlich.
Aber erst in der Corona-Opposition ziehen sie an einem Strang gegen die wirksamste Möglichkeit der Pandemiebekämpfung, das Impfen.
Kommunikation gegen Irrationalität?
Bei den hochengagierten Quertreibern haben sich längst Mechanismen eingespielt, mit der Impf-Argumente gewendet werden, entweder in Form von Delegitimierungsangriffen auf die Informationsquellen oder durch Bezugnahme auf die alternativen Realitäten der bewunderten Coronaleugner im weißen Kittel. Es braucht nicht viel Phantasie, die digital verbreitete Dokumentation der eingegangenen Bußgeldbescheide nach einer gesetzlichen Impfpflicht als Beweis für persönliche Standhaftigkeit vorherzusagen.
Wenn in dieser festgefahrenen Situation überhaupt etwas helfen kann, dann das Ernstnehmen der persönlichen Reaktanz-Motive - ausgenommen die offenen Feinde des Rechts- und Verfassungsstaates, die hart bekämpft gehören. Gerade weil diese Motive und Persönlichkeitstypen so unterschiedlich sind, wird eine vereinheitlichte Ansprache keinen Erfolg haben.
Und dennoch gibt es einen Faktor, der ihnen allen abgeht und der zentral ist für das Funktionieren jedes Gemeinwesens: Institutionenvertrauen. Rechtsordnungen können nur funktionieren, wenn möglichst alle, die dieser Ordnung unterliegen, die Eckpfeiler dieser Ordnung aus freien Stücken akzeptieren und nicht nur aus Angst vor Strafe. Der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Bockenförde hat dies in einem vielzitierten Satz verdichtet: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“
Wer vor dem Hintergrund von erfahrener Diktatur zu keinem Staatsvertrauen fähig ist, handelt deshalb weder aus Prinzip amoralisch noch verschafft er sich einen Vorteil. Er lebt schlicht unglücklicher als andere und unterschätzt seine mögliche Relevanz für das Gemeinwesen.
Wer als Libertärer prinzipiell die eigene Individualität durch staatliche Maßregelung bedroht sieht, kollidiert permanent mit den Freiheitsansprüchen anderer und muss viel Energie in das Aushandeln und Verteidigen von persönlichen Anspruchsgrenzen investieren.
Auch wer als Anhänger einer über-rationalen Philosophie in einer aufklärerisch dominierten Mehrheitsgesellschaft zurechtkommen will, gerät in Konflikte, sobald sein Verhalten die Rechte jener anderen begrenzt, die ihre Rechte nicht durch Verweis auf die Heilslehre unterzuordnen bereit sind. Jede Form von Glaubenslehre führt ihre Anhänger in harte Konflikte, sobald sie Wirkung im Diesseits auslöst - ob gewollt, wie bei Glaubenskriegern, oder in Kauf genommen, wie bei irrationaler Impfverweigerung in Form von weitergegebener Infektion.
Keine Werbekampagne der Welt wird diese drei Gruppen bekehren. Dennoch kann die kooperationswillige Mehrheitsgesellschaft am verbindenden Schwachpunkt der kooperationsverweigernden Impfgegner-Gemeinde ansetzen: Sie kann ihre Ansprüche auf Schutz der eigenen Lebens- und Freiheitsrechte einfordern.
Sie hat beste faktische Gründe, zur Bekämpfung einer Infektionskrankheit kollektiv die erwiesenermaßen wirksamen und mildesten Mittel einzusetzen, zunächst Kontaktbeschränkungen und nun Impfungen, um Kontaktbeschränkungen baldmöglichst entbehrlich zu machen.
Und zwar bald. Im Herbst 2022, nach einem zweiten Freiheits-Sommer, wird es politisch kaum mehr möglich sein, Kontaktbeschränkungen durchzusetzen. Die geimpfte Mehrheit wird immer weniger bereit sein, ihre Freiheit zu beschränken, weil sich eine Minderheit der Realität verweigert.
Fazit: Eine lehrreiche Pandemie
Impfverweigerer schaden sich selbst. Und sie schaden der Allgemeinheit. Sie handeln irrational. Unsere Gesellschaft ist geübt darin, tolerant mit Irrationalität umzugehen. Es sei denn, Irrationalität hat massive Auswirkungen im Diesseits. Die Pandemie lehrt eine wichtige Grenzziehung.
Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim hat im Titel ihres Bestsellers „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ eine wunderbare Formulierung geschaffen für eine Referenz, auf die sich Entscheidungen im Interesse der Allgemeinheit beziehen sollten. Es braucht politische Entschlossenheit, Entscheidungen für das Diesseits mit Argumenten aus der beobachteten, gezählten und gemessenen Realität zu begründen. Schlicht, weil es niemand besser weiß.
Es braucht darüber hinaus Offenheit für das menschliche Bedürfnis nach Spiritualität. Für die Hoffnung auf mehr als das Bisschen, was wir als Wissen ganz gut begründen können. Für die Sehnsucht nach neuen Erkenntnissen, die die Augen und Herzen öffnen, alte Fragen neu beantworten und unsere Existenz einzuordnen vermögen.
Wohl jeder einzelne Mensch lebt von mehr als dem wenigen, was er zu wissen begründen kann. Aber keine menschliche Gemeinschaft sollte ihre Entscheidungen auf anderem gründen als auf der kleinsten gemeinsamen Wirklichkeit, auf dem Bisschen, was allgemein als vernünftig gelten kann.
Im Interesse des Lebens und der Freiheit ist es unsere Verantwortung, beides voneinander zu unterscheiden: die Vernunft für die Verhältnisse im Diesseits und die Sehnsucht nach den Chancen hinter der bekannten Realität.
Überzeugen wird das die meisten Impfgegner kaum. Eine Chance auf Gehör bei ihnen hat nur, wer ihre sehr persönlichen Motive ernst nimmt, denn die sind zunächst weder illegitim noch amoralisch. Nur sind ihre Schlussfolgerungen als Maxime für staatliches Handeln untauglich, weil freiheitsbeschneidend für alle anderen.
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