Sonntag, 15. Dezember 2019

Volksparteien in der Sinnkrise - fünf Schritte für einen Restart

Die aktuellen Krisen von CDU und SPD sind nicht mehr als eine Momentaufnahme im jahrzehntelangen Erosionsprozess der Volksparteien. Und die zeigt perspektivisch noch ein beschönigendes Bild, denn die über Sechzigjährigen sind Union und SPD weit überdurchschnittlich treu – eine Verbindung mit prognostizierbar beschränkter Halbwertzeit.

Die klassischen Gründe für Unzufriedenheit mit Regierungsparteien fallen als Erklärung aus – noch nie seit der Einheit waren Arbeitsmarkt und öffentliche Finanzen in einer derart entspannten Lage. Ihre Ergebniskrise kann auch nicht mit politischem Desinteresse erklärt werden. Die Wahlbeteiligung steigt ebenso wie die Intensität zentraler politischer Debatten.

Diese Debatten leben von Themen mit großem emotionalem Impact: Klimaschutz auf der einen, populistisch abgrenzender Nationalismus auf der anderen Seite. Beide Themen polarisieren, also mobilisieren beide Seiten des politischen Spektrums zugleich. Die aufgeklärten urbanen Bildungseliten bewundern ihren Nachwuchs für seinen rebellischen freitäglichen Spirit, während in vielen, gefühlt abgehängten ländlichen Regionen der schrille Ruf zur Wiederherstellung vermeintlicher Sicherheiten und ethnisch-kultureller Uniformität Anklang findet.

Diese Polarisierung bewegt große Teile der Öffentlichkeit, die medialen und digitalen Debatten wie die Diskussionen im privaten Umfeld. Die Abgrenzung vertieft sich dabei über verschränkte Themen immer weiter: Nationalisten gerieren sich zugleich als Diesel-Retter, während die Klimaschützer das Selbstbild des Weltbürgers pflegen; die gegenseitige Verachtung ist absolut und konsistent.

Nur zwei spielen dabei keine Rolle: Die alten Volksparteien. Denn ihnen ist eine klare Verortung hier wie dort verstellt, durch bessere Einsicht wie durch tradierte Rücksicht auf relevante Klientele. Das SPD-Narrativ zum Klimaschutz ist immer ein sowohl – aus auch – „wir müssen auch die sozialen Härten in den Kohleregionen“ und so weiter. Und auch die Union findet zwischen nationalem und Verfassungspatriotismus, zwischen konservativem Familienbild und urbaner Toleranzkultur, zwischen Bewahrung der Schöpfung und Schutz von Wirtschaft und Mittelstand immer wieder nur Kompromissantworten. Und wo das nicht gelingt, siehe Energiewende, produziert sie Stillstand.

Diese Falle ist existenziell gefährlich für beide. Kein politisches Angebot kann erfolgreich sein, das in den großen Debatten der Zeit keine Rolle spielt. Es ist aber auch gefährlich für das Ergebnis von Politik. Denn so langweilig die Kompromisspositionierung des Regierungslagers auch sein mag – eine echte Lösung der Herausforderungen aus Klimaschutz und sozialer Teilhabe kann nur im Ausgleich von Interessen gelingen. Jede Klimaschutzpolitik gegen große Teile der Bevölkerung würde irgendwann vor einer Wand aus lautstarker Gegenwehr zerbrechen. Genauso müsste jedes Weiter-so-Versprechen in der Auto- und Maschinenbau-, Chemie- und Massentierhaltungsnation scheitern, wenn die gesellschaftliche Legitimation vieler Produktionsweisen wankt. Und ein Zurück in ein nationales Cocooning ist schon angesichts der weltpolitischen Realität das schlichte Gegenteil einer Perspektive.

Wie kann eine kommunikative Lösung für Union und SPD aussehen? Henrik Müller vom Spiegel erinnert an einen Weg zur Lösung: „Früher waren die Volksparteien mal ziemlich gut darin, das heute Machbare am langfristig Notwendigen auszurichten - und die dabei auftretenden gesellschaftlichen Konflikte in tragfähige Kompromisse zu verwandeln.“

Demographie, Digitalisierung, Klima- und Umweltschutz sind unbestritten die Handlungsfelder für das „langfristig Notwendige“. In all diesen Bereichen warten große Fragen auf politische Entschlossenheit. Auch die Rolle Deutschlands im internationalen Kontext wird eine Neupositionierung verlangen, die nicht ohne einen Umbau von „nationaler Souveränität“ auskommen wird.

Keine Klientel- oder Ein-Themen-Partei, keine monothematische NGO und keine ideologisch sortenreine Kraft könnte das bewältigen. So absurd das scheinen mag: Unsere Zeit ist ein ideales Biotop für Volksparteien! Das heute Machbare am langfristig Notwendigen auszurichten, wäre wertvoller denn je.

Sie müssten nur den Mut haben, das zu begreifen. Und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen:

1. Seid stolz auf eure Stärken! Steht zu eurer Kernkompetenz, die größten Fragen so zu lösen, dass am Ende wirklich das Land in Bewegung gerät, anstatt in Blockaden zu ersticken. Der Blick auf unsere vier größten europäischen „Partner“ FR, IT, PL und GB zeigt doch, was ohne euch bleibt.

2. Präsentiert euch nicht verdruckst, entschuldigt euch nicht für vermittelnde Positionen, schaut nicht neidisch auf die Vereinfacher und Ideologen. Sondern führt! Überzeugt mit politischen Angeboten, die mehr als eine Klientel bedienen und deshalb das Land voranbringen.

3. Sprecht nicht von Zwangskoalitionen, schmerzlichen Kompromissen und lästigen Sachzwängen. Sondern vom Ziel! Zeichnet das Bild einer Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, die Lebensqualität und Nachhaltigkeit, persönliche Sicherheit und lebendige Gemeinschaft verbindet. Framing wirkt, positiv wie negativ.

4. Misstraut den Reflexen. Wenn eure Probleme aus der Erosion eurer alten sozialen Basis erwachsen, warum dann quälend über das eigene Personal streiten? Oder alte ideologische Gefängnisse zurückwünschen? Streitet mit den Vereinfachern und für eine lebenswerte Gesellschaft von morgen!

5. Emanzipiert euch von der Vergangenheit. Die Reste der schwarzen und roten Bündniszirkel aus der alten BRD taugen kaum als soziale Basis für morgen. Eine SPD, die stumpf DGB-oder VW-Positionen übernimmt, beweist ebenso wenig Führung wie eine Union voller Angst vor Familienunternehmern oder Großbauern.

SPD und Union präsentieren sich heute selbstmitleidig als Opfer einer Zwangsehe. Wer nichts anderes vermittelt als solchen Missmut, kann weder kommunikative Blumentöpfe noch Herzen gewinnen. Deshalb: Aufrechter Gang, Stolz auf die bewiesene Kompetenz zur gesellschaftlichen Integration, eine eigene zeitgemäße gesellschaftliche Vision und: führen!

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