Da ist es wieder: Das verlässlichste Gesetz der Kommunikation bleibt die Ermüdung. Themen verlieren an öffentlichem Gewicht im Zeitablauf. Das Problem: Das passiert immer. Auch mit Themen, deren faktische Relevanz keineswegs verblasst.
Früher war ein Schiff in Seenot ein Medienthema, heute schaffen es Hunderte Tote kaum in die vorderen Zeitungsseiten. Als ein aus der Zeit gefallener Nationalist das letzte Tabu brach und mit militärischer Gewalt Grenzen verschob, mobilisierte das noch alle europäischen Nackenhaare. Heute wären viele dankbar, würde man diese Aggression noch weiter ins Reich des Vergessens schieben. Europäische Währungsrettungsprogramme, britische Exitmanöver, klerikale Missbrauchskriminalität – all das passiert weiter vor sich hin. Aber die Aufmerksamkeitsspanne der Medienwelt steht im umgekehrten Verhältnis zur anfänglichen Empörungsexplosion.
Leicht und verlockend wäre es, vor allem den Medienmachern einen Vorwurf daraus zu spinnen. Aber die sind nur Spiegel des Problems. Denn sie können schlecht auf Dauer ignorieren, was ihr Publikum antreibt. Und dessen Natur ist und bleibt es, als soziale Wesen ihren Zusammenhalt im Erzählen von Geschichten auszuleben. Die Lagerfeuer der Menschheit versammeln Geschichten jeder Art, reale wie fiktive, traurige, romantische und lustige. Nur eines geht gar nicht: Langeweile. Wer das Privileg erobern will, dass andere zuhören, tut gut daran, etwas anderes zu erzählen als Altbekanntes.
Unabhängig davon, ob es noch gilt. Passiert. Tötet. Oder auch Gesundheit und Leben schützt.
Das Sars2-Virus bedroht dunkelziffergeschätzte 97% der Menschheit, weil ihre Biochemie gegenüber dem Erreger unerfahren ist. Aber völlig abgekoppelt von realen Gefahren nervt es mehr und mehr mit etwas für unsere soziale Existenz Schlimmerem: mit Langeweile.
Professor Drosten fährt seine Podcast-Frequenz zurück. Das RKI hat seine regelmäßigen Updates sogar beendet. In den Nachrichtensendungen schaffen es immer öfter andere Themen an die erste Stelle. All das, während das Sterben an Covid richtig Fahrt aufnimmt, in den bevölkerungsreichen Ländern der Welt wie in unseren Pflegeheimen.
Wenn die Ermüdung gegenüber Themen unabhängig von ihrem faktischen Gewicht erfolgt, wachsen daraus Herausforderungen für das Kommunikationshandwerk:- Die Regierungskommunikation kann ihren Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie nur erbringen, wenn man ihr weiterhin zuhört.
- Redaktionen können weder die Bedürfnisse der Kundschaft ignorieren noch die unveränderte reale Relevanz von Nachrichten.
Regierungskommunikation
Es hat im März etwas gedauert, Deutschland in den Alarmmodus zu versetzen, aber dann gab es eine enorme Zustimmung zu politisch verordneten Freiheitsbeschränkungen. Auch wenn alle ahnten, was für Jobs und Familien an Belastungen zu erwarten waren – Wissen über und Akzeptanz von Distanzregeln und Shutdown waren enorm.
Inzwischen fächert sich die Öffentlichkeit ebenso auf wie die Politik. Die Architektur der dezentralisierten Verantwortung für die tolerierte Kontaktintensität wird machtpolitisch interpretiert: Journalisten sprechen über machtpolitische Gewinner und Verlierer statt über den Sinn von Subsidiarität, also von Verantwortung in größtmöglicher Nähe zum Problem. Und die Öffentlichkeit fühlt sich in Maskenproduktion und R-Wert-Interpretation derart Kompetenz-gestählt, dass politische Ansagen keineswegs mehr auf selbstverständliche „Das wird schon gut sein für uns“-Zustimmung hoffen können.
Politische Führung ist nicht mehr per se legitimiert, menschliches Verhalten zu reglementieren. Nach der akuten Schock-Phase, in der sich alle hinter ihren Anführern versammeln, rütteln viele umso stärker an ihren Ketten. Vor allem eines nimmt zu: Kontroverse. Die Gesellschaft verliert an verbindender Orientierung, damit wächst die Vielstimmigkeit zwischen Rebellen, Verunsicherten, Verunsicherern, Mahnern, Verschwörern, Disziplinierten und Gedankenlosen.
Was in dieser Situation garantiert nicht hilft: Der Weg zurück. Es zur einzig angemessenen Lösung zu erklären, dass alle wieder in den Schockzustand zurückfallen und artig den Oberen gehorchen. Nicht Aufmerksamkeit ermüdet, auch die Folgsamkeit in der Not.
Medien
Die Nachrichtensender haben ihren Boom genossen, sogar Zeitschriftenverlage meldeten Topauflagen. Zeiten großer Unsicherheit sind Treiber des Informationsbedürfnisses, Zeiten von Homeoffice und Kurzarbeit vergrößern die Nachfrage nach jenen Unterhaltungsangeboten, die gerade zulässig und verfügbar sind.
Mit der Auffächerung der politischen Debatte und der Ermüdung des Sensationseffekts wird die Aufgabe der Berichterstattung anspruchsvoller. Manches Corona-Ritual hat sich verbraucht, manches Talkshow-Gesicht auch. Medienkonsumenten wollen neue Themen und neue Formate zur Vermittlung des „alten“ Themas.
Dabei fehlen ganze Sektoren von Themen, die sonst regelmäßig die Berichterstattung prägen: Sportereignisse aller Art, Konzerte und Aufführungen, schlicht alles, was ein Live-Publikum adressiert und meist parallel elektronisch vermittelt und redaktionell kommentiert wird. Manches lässt sich kreativ umbauen, etwa in kabarettistische Home-Office-Sendeformate. Anderes fehlt wohl auch in den kommenden Monaten. Und irgendwann werden wir merken, dass die Produktion von Filmen und Serien weltweit stockt und Schneisen voller Wiederholungen in die seriellen Fernsehprogramme geschlagen werden.
Kommunikation in der zweiten Pandemiephase – sechs ungefragte Ratschläge
1. In menschlichen Dimensionen sprechen
Zugegeben, Statistik war nicht mein Lieblingsfach im Studium. Aber ein bisschen Gefühl für die Interpretation großer Zahlen und für den Verlauf von Wachstumsprozessen hat geholfen, mögliche Entwicklungen einzuordnen. Für Politikerkommunikation, die Menschen tatsächlich erreichen und bewegen soll, sind und bleiben große Zahlen aber ungeeignet. Denn sie haben schlicht kein Herz, spiegeln nicht das Erleben der Zuhörer.
Konkrete Geschichten von vorbildlichem oder schädlichem Verhalten Einzelner, von möglichen Infektionswegen und Forschungsfeldern, von unternehmerischen Reaktionen auf Existenzbedrohung und praktischer Phantasie im Schulbetrieb haben deutlich größere Chancen, Gehör zu finden und handlungsleitend zu wirken. Im Journalismus wie im Marketing ist Storytelling seit jeher das erfolgreichste Kommunikationsmuster. Liebe Politiker, liebe Journalisten, erklärt das Große aus Perspektive des Kleinen, andersrum versteht man euch nicht.
2. Für Grundsätze werben statt Grenzwerte verteidigen
Klar, Menschen suchen Orientierung in Grenzwerten. Sie wollen wissen, wo Sicherheit für sie selbst beginnt und Fehlverhalten anderer. Dumm nur, dass jede Abstandsgrenze, jede Mundschutznorm, jede Quadratmeterzahl im Laden und jedes Lockerungsdatum letztlich willkürlich wirkt, jede Regel und jede Ausnahme anfechtbar bleibt. Die wichtigste Botschaft in der Erklärbärenrolle von Politikern und Medien ist das Grundsätzliche: Viel Abstand hilft, wenige persönliche Kontakte helfen, viel Hygiene hilft.
Polizei und Ordnungsämter brauchen Grenzwerte, okay. Aber Menschen brauchen Sinn für das Wesentliche, verbunden mit der Überzeugung, dass ihr eigenes Verstehen und Verhalten die Gefahr für sich und die eigene Familie stark beeinflusst. Ausdifferenzierte Grenzwertdebatten nehmen die Regelmacher in Verantwortung, einfache Verhaltensgrundsätze hingegen die Adressaten. Was die Sozialpsychologie Selbstwirksamkeitserwartung nennt, war nie wichtiger für Menschen als in einer globalen Gesundheitskrise.
3. Dezentralität rockt
Die leichtfüßigste Behauptung der letzten Zeit: Uneinheitliche Regeln akzeptiert niemand. Dummerweise sind genau sie die einzige Lösung, um so viel Freiheit wie möglich und – in gefährdeten Regionen – so viel Eindämmung wie nötig zu vereinbaren. Die Politik täte gut daran, föderale Gesundheitspolitik (bis herunter auf die Kreisebene) eindeutig positiv zu framen statt als Notlösungskompromiss zwischen Bund und Ländern.
Andere Situationen auch anders zu regeln, kann man deutlich überzeugender finden als das unreflektierte Herbeibeten von Einheitsbrei. Und dann sollte man es auch aufrecht verkaufen. Übrigens eine tolle Chance für Lokalmedien wie für Kommunalpolitiker, sie machen jetzt den Unterschied.
4. Globalität matters
Wer ein Thema stricken wollte, um die Notwendigkeit internationaler Kooperation zu belegen, hätte die Pandemie erfinden können. Ein Virus, das alle auf dem Planeten bedroht und nur durch global arbeitsteilige Wissenschaft und Pharmazie zu bekämpfen ist. Ein gemeinsamer Feind, nur durch abgestimmtes Handeln zu besiegen. Die Zahlen aus USA, GB, Russland und Brasilien zeigen dramatisch, was das Ergebnis von ignoranten Vereinfachern in Regierungsverantwortung ist. Für Multilateralisten gute Zeiten, in die Offensive zu gehen. Aggressive Kleingeister haben lange genug die Agenda bestimmt. Auch Produkt- und Unternehmensmarken müssen jetzt beweisen, ob ihre „Purpose“-Positionierungen einer realen Krise standhalten. Wahrnehmung ist ihnen sicher, von guten wie von schlechten Stories.
5. Phantasielosigkeit nervt
Könnte bitte jemand ein anderes Symbolbild erfinden als das lächerliche Comic-Virus?
6. Vision Normalität – echt jetzt?
Und über allem schwebt die große Frage, wo das große Ziel liegt. Der Schlüsselbegriff für die große Vision, auf die angeblich alle hinarbeiten, heißt angeblich: Normalität, gern auch eine angeblich neue. Jetzt stellen wir uns mal ganz dumm: War unser aller Leben bis in den Februar 2020 wirklich das beste, das wir erträumen konnten? Wie arm, nach dem größten globalen Schock unseres Lebens nichts höher zu schätzen als den Schritt zurück zum Status quo ante.
Die vielen von uns, die die Pandemie überleben, werden eine Menge Erfahrungen mitnehmen. Sie werden beobachten, wie sich ihr Arbeitgeber verhalten hat, wie die Familie zusammenhält. Sie werden unter den Freunden erleben, wer besonnen und wer gedankenlos agiert hat. Sie werden verfolgen, welche Medien und welche Politiker hilfreich und welche opportunistisch wirken.
Wir werden uns fragen, wie wertvoll die gewonnene Lebenszeit durch entfallene Pendelei ins Büro ist. Wie sehr uns Fernreisen wirklich fehlen oder Kinofilmpremieren oder die Fußball-EM.
Die Pandemie trifft den globalen Norden in einer Zeit von infrage gestellten Wirtschafts- und Lebensweisen. Wer es nicht schon vorher ahnte, erlebt nun, dass es keine verlässliche Stabilität für Wohlstand, Freiheit und Gesundheit gibt.
Die Pandemie beweist der Weltgesellschaft ihre Verletzlichkeit. Sie zeigt jenen, die selbstgerechte Egomanen gewählt haben, die Folgen. Sie zeigt den Menschen aber auch die Veränderbarkeit von vermeintlichen Selbstverständlichkeiten. Von einem Tag auf den anderen nicht zur Arbeit, nicht zur Schule, nicht zum Friseur, nicht in die Kirche und nicht nach Malle.
Die Corona-Erfahrungen können persönliche Prioritäten, Überzeugungen, Lebenspläne verändern. Eine Chance, die den kollektiven Schock in ein persönliches Freiheitserlebnis zu drehen vermag.
Ein Thema, das viele persönliche Geschichten verändern wird. Das dann nicht ermüdet, wenn wir es als eine Zeit großer Erkenntnisse, großen Leids. großer Verantwortung, letztlich aber auch großer Freiheit erzählen.
Und nicht als Statistikschlacht, als Grenzwertestreit oder als temporäre Panne im Paradies des Normalen.
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