Montag, 27. Januar 2025

Merz und seine Basta-Show - die rot-grüne Wahl zwischen Falle und Führung

Der Fünf-Punkte-Merz-Move stellt SPD und Grünen eine Falle. Die Falle schnappt zu, sobald beide nach dem Schema reagieren, noch mehr sei zur Kontrolle von Zuwanderung rechtlich nicht machbar.

Diese Falle fußt auf der schiefen öffentlichen Wahrnehmung, dass ein Großteil von Gewaltverbrechen in Deutschland auf Asylbewerber zurückgehe. Da in den letzten Monaten und Jahren keine relevante politische oder mediale Kraft dieser Wahrnehmung entgegengetreten ist, würde es jetzt, wenn es von SPD und Grünen käme, wie ein verachtungswürdiger Beschwichtigungsversuch wirken. Was Medien nicht aus der Verantwortung nimmt, die quantitativen Maßstäbe zurechtzurücken.

Die Parteien müssen aber mit der Wahrnehmung umgehen, wie sie ist. Meinungen sind Tatsachen, zumal im Wahlkampf.

Es ist mehr als nachvollziehbar, dass SPD und Grüne Merz für den Tabubruch kritisieren, gemeinsam mit der AfD eine parlamentarische Mehrheit anzustreben. Ausgerechnet bei deren Leib- und Magenthema Migration legt die Union den rechtsradikalen Menschenfeinden den roten Teppich zur gemeinsamen Mehrheit aus. Und das vermeintliche Gesprächsangebot an die Mitte-Parteien killt Merz selbst mit seinem Ausschluss von Kompromissmöglichkeiten.   

In den Augen eines Großteils der ungebundenen Wählerschaft aber wird SPD und Grünen auch begründete Merz-Kritik kaum helfen, solange sie sich in der Falle bewegen, das substanzielle Abhilfe rechtlich und nicht möglich sei.

Es wird auch wenig helfen, Merz die Widersprüche zwischen seinen bisherigen Aussagen zur Zusammenarbeit mit der AfD nachzuweisen. Weil er das emotionale "Argument" auf seiner Seite hat, genug sei nun mal genug.

Es ist keine durchhaltbare politische Position bei einem von der Öffentlichkeit als hoch relevant eingeordneten Thema, in langen juristischen Begründungskaskaden immer wieder Handlungsunfähigkeit zu dokumentieren. Oder Fortschritte der letzten Monate als wertvolle Lösungsschritte darzustellen, während die Öffentlichkeit weitere schwerste Straftaten verarbeiten muss. Oder auf das Bashing föderaler Einzelakteure zu setzen. All das wird, wie so oft in der politischen Öffentlichkeit, unabhängig von faktischer Substanz keine breite Zustimmung auslösen, keine Affekte besänftigen.

Deshalb ist der vermutliche Verlauf der Debatte prognostizierbar: Das Merz-Manöver wird sowohl SPD und Grünen als auch AfD und Union in ihrer Kernklientel bei der Wählerbindung helfen. Also im brisantesten Wahlkampfthema die Gesellschaft noch tiefer spalten. Da AfD und Union aktuell eine weit stärkere öffentliche Unterstützung genießen, werden SPD und Grüne die relativen Verlierer einer noch stärker zementierten Spaltung sein.

AfD-Wahlwillige haben dabei durch den Merz-Move keinerlei Grund, nicht die AfD zu wählen. Sie werden vielmehr bestärkt, auf der richtigen Seite zu stehen.

Dass SPD und Grüne dieser Falle entgehen, ist nach den ersten Reaktionen von Scholz und Habeck nicht wahrscheinlich. Denn sie bewegen sich in ihren üblichen Gewässern.

Beide haben Zeit bis zur Bundestagsdebatte am Mittwoch, der noch erreichbaren unentschlossenen Wählerschaft Gründe zu liefern, ihnen erneut Gehör zu gewähren. Noch einmal zuhören wird man bei neuen (!) Aussagen mit einer belastbaren praktischen (!) Wirkung auf die Gewaltkriminalität. In Verbindung mit dem Nachweis, dass der Merz-Weg genau diese praktische Wirkung nicht hätte.

Raum für eine hinhörenswerte Neupositionierung bieten Aspekte, die bisher hinter den Themen Grenzkontrollen und Abschiebungen nicht die gebührende Aufmerksamkeit genießen: die träge, papierbeschwerte Bürokratie im kleinschrittigen Zusammenspiel von Behörden mit engen Detailzuständigkeiten. Da Attentate wie in Magdeburg und Aschaffenburg verhindert worden wären, wenn "der Staat" nach dem ihm vorliegenden Wissen hätte handeln können, hätte ein Paket aus konsequenter Digitalisierung im Behördenverkehr, begradigten Zuständigkeiten, Neujustierung von Datenschutz und digitalen Fahndungsoptionen reale Relevanz zur Verhinderung weiterer Straftaten.

Hinhörenswert wäre es gerade dann, wenn SPD und Grüne angesichts der brisanten gesellschaftlichen Situation öffentlich einige überkommene Positionen räumen würden (etwa bei Datenspeicherung oder digitaler Gesichtserkennung).

Eine solche Kurskorrektur würde die vielleicht größte Schwäche der Scholz-Kommunikation kontern: sich nie öffentlich zu hinterfragen und Fehler einzuräumen. Einer Ursache dafür, dass er auf viele wirkt wie ein Kanzler von einem anderen Stern.

Einem öffentlichen Bedürfnis nach Neugewichtung zwischen Datenschutz und innerer Sicherheit zu folgen, wäre nicht anrüchig,  sondern ebenso legitim wie verfassungskonform. Und vor allem würde es der Kriminalitätsbekämpfung auch in der großen Mehrheit der Fälle dienen, in denen Asylbewerber keine Rolle spielen.

Kraft bekäme eine solche Umpositionierung nicht nur durch die Argumente für die Änderungen, sondern durch den Vergleich mit der dürren praktischen Wirkung der fünf Merz-Punkte. Denn die würden durch die ihnen inhärenten juristischen Auseinandersetzungen über Monate und Jahre schlicht nichts ändern. Schließlich hat Merz anders als Trump die obersten Gerichte nicht unter Kontrolle.

SPD und Grüne entgehen der von Merz gestellten Falle nur, wenn sie ihren parteitypischen Reflexen entsagen und die öffentliche Erwartung nach substanziellen Reaktionen bedienen. Nur wenn dies überraschend, schnell und konsequent erfolgt, könnte es noch öffentliche Wirkung entfalten. Und den eigenen Wählkämpfern Selbstbewusstsein für Haustür und Fußgängerzone mitgeben.

Es würde den Merz-Move dastehen lassen als das, was er ist: ein hektisches Wahlkampfmanöver, zudem im Widerspruch zur großen demokratischen Tradition der Union. Letztlich bestätigt Merz die Erwartung von Beobachtern, irgendwann im Wahlkampf die Nerven zu verlieren. Fünf krawallige Pseudoreformen auf der Welle der Empörung über Aschaffenburg wären vielleicht nur traurig - die Kombination mit der expliziten Einladung an die AfD und der Annoncierung von Kompromisslosigkeit gegenüber der demokratischen Mitte konterkarieren Merz' Bemühen, sich als nüchterner und lösungsorienterter Kandidat für die breite Mitte in Deutschland zu präsentieren.

Wenn aber SPD und Grüne nicht entschieden, mutig und klug reagieren, sind sie die Nettoverlierer der sauerländischen Basta-Show.